15. September 2049 – Wohnquartier CX-B-6,E-17D, B-Ebene, Wuppertal, ADL
Ein lauter Schrei brachte die Meute orkischer Kinder zum Verstummen, die ihren neuen Bruder neugierig erwarteten. Juliane Densinger hatte ihr viertes Kind im Hinterzimmer eines Straßen-Docs zur Welt gebracht – ihr erster Sohn von ihrem dritten Mann, der schon wieder einmal betrunken auf der Couch ihrer viel zu kleinen Wohnung lag und die Kinder sowie den Haushalt vernachlässigte. Von diesem Dreckskerl würde sie sich auch bald trennen, vor allem jetzt, da er auch noch den Billig-Lohn-Job bei der AG Chemie durch seine Besäufnisse versaut hatte und sie die kleine Horde ohnehin allein mit ihrem Gehalt als Lohnsklavin durchbringen musste.
Den Kleinen hatte sie Markus genannt, nach ihrem Vater, der sich wohl auch nicht gewünscht hätte, dass seine Enkel Orks sind, aber es liegt wohl in den Genen. Der Kleine hatte auf jeden Fall jetzt Hunger.
5. Februar 2063 – B-Ebene, Wuppertal, ADL
Seine Mutter war tot, ermordet von einer rassistischen Gang. Die Wut brannte in seinem Bauch und er wollte Rache. Er war zwar erst 14, aber als Ork war er praktisch schon ausgewachsen und er hatte einen kräftigen Körperbau. Marie, seine älteste Schwester, bat ihn, nichts zu unternehmen, damit kein „Kreis der Gewalt“ entstehen würde, aber er sagte sich einfach „Wenn niemand überlebt, dann wird auch keiner Rache wollen.“ Er ging zielstrebig auf den Versammlungsraum der Humanis-Zelle zu, einige Menschen auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachteten ihn mit Unglauben – ein Ork, der zu Humanis ging konnte nur Ärger bedeuten und so suchten sie zügig, aber unauffällig das Weite.
Sergej, der Waffenhändler, hatte ihm eine Waffe besorgt – eine Ares Predator. „Vorkriegsmodell“ hatte er sie genannt, welchen Krieg er auch immer geeint haben mag. Aber es würde für Markus reichen. Er hatte nichts zu verlieren. Er betrat den stinkenden Raum. Vier Weichhäute befanden sich dort. Vier Kopfschüsse später war er alleine im Raum. Alles Treffer! Markus stellte fest, dass er instinktiv mit der Waffe umgehen konnte.
Vielleicht ließ sich damit auch etwas Geld verdienen…
18. März 2063, 20:04 Uhr – Das Irish Pub Shamrock, B-Ebene, Wuppertal, ADL
Hier sollte das Treffen mit dem Typen der MET2K stattfinden. Sergej hatte den Kontakt gemacht und Markus war absolut gewillt, sich bei der Söldner-Firma zu bewerben und ausbilden zu lassen. Er war nervös. War er zu jung? Als Ork war er ausgewachsen, aber vor dem Gesetz noch lange nicht volljährig. Was würde der Kerl erwarten? Wie hieß er noch mal? Ach ja: Leutnant William Deventer.
Der Typ war auf die Minute pünktlich – 20:15 Uhr – korrekte Kleidung und ein sehr formeller Umgang. Markus hatte darauf verzichtet, etwas zu trinken, was wohl auch besser war, denn Leutnant Deventer überprüfte ihn gründlich – auch auf Alkohol und Drogen. Nach einem kurzen Gespräch reichte er Markus einen Vertrag, 58 Seiten stark. Markus las sich den Vertrag nicht einmal durch – er konnte eh nicht gut lesen – und unterschrieb. 21 Tage später war er schon im Ausbildungslager in Münster.
17. Juni 2063 – Zimmer 218, Militär-Krankenhaus, MET2K-Ausbildungszentrum Münster
Die Ärzte waren gut. Markus hatte diverse Implantate zur Verbesserung seiner Kampfkraft erhalten und lag schon seit gut zwei Monaten unter dem Messer: Zeiss-Optix-Mark-8-Cyberaugen mit allem Drum und Dran, eine CerebroTech InStinct IV-Reaktionsverbesserung, ein Reflexbooster der Marke CerebroTech AccelU-III, sowie ein Ares Impaler-Cybersporn für den Nahkampf. Er würde sich an das Zeug gewöhnen müssen. Nächsten Monat wären auch noch die organischen Implantate fertig: Die BacteriTech MuskEn-Mark6-Muskeln, die ihn noch stärker und schneller machen würden, sowie die BacteriTech WiredReflexes-Modelle Sigma-3 und Gamma-4, die seine Waffenfähigkeiten unterstützen sollten. Markus erkannte jetzt die Bedeutung der Seiten 34 bis 45 seines Arbeitsvertrages, die die MET2K dazu ermächtigte, „erforderliche Technologien zur Erhöhung des Potenzials des Mitarbeiters“ zu benutzen. Er hatte wie eine Nutte seinen Körper verkauft – schlechter Deal, aber er dachte sich, was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker.
25. August 2071 – Grbeniç, 25 km nördlich von Sarajevo
Er nannte sich bei Einsätzen „Wardog“, denn er war ein Kriegshund. Die MET2K hatte ihn schon auf diverse Schlachtfelder geschickt. Er hatte gesehen, wie Kameraden starben, wie Gegner starben. Er war darauf vorbereitet worden. Seine Truppe war in dieses kleine Dorf geschickt worden, um dort eine Aufklärungsmission durchzuführen. Der langweiligste Teil seines Jobs. Nur ein piss-langweiliges Dorf mit piss-langweiligen Bauern – kein Kampf, keine Aufregung. Hier sollten sich Guerillas verstecken? Kaum zu glauben….
…aber wahr. Ein Hinterhalt. Drei der Kameraden hatten nicht einmal eine Chance, bevor sie tot zu Boden fielen. Wardog nahm sein Sturmgewehr in die Hand, sprang hinter einen Mauerrest in Deckung und versuchte den Feind auszumachen. Ein Querschläger traf sein Bein. Es schmerzte. Dann hörte er serbische Worte. Er verstand kaum Serbisch, aber die Worte „dreckiger Ork“ verstand er. Er sah rot. Er tickte aus.
Als er sein Bewusstsein wieder erlangte, war er blutüberströmt. Verletzt, aber lebendig. Das konnte man von den Einwohner des Dorfes nicht mehr sagen. Alle brutal hingerichtet. Manche hatte er mit seinem Messer aufgeschlitzt, andere erschossen. Grbeniç war nicht mehr.
Ihm wurde sofort klar, dass er sich zu verantworten hatte. Er wollte nicht als Kriegsverbrecher verurteilt werden. Scheiß auf die MET2K. Es gab andere Jobs.
15. September 2071 – Wohnquartier CX-B-6,E-17D, B-Ebene, Wuppertal, ADL
Seine Schwester Marie hatte ihn aufgenommen und versteckt und zum Geburtstag sogar einen Kuchen gebacken. Sie konnte wirklich nicht backen, aber der Wille zählte. Er nahm sich noch ein Stück. Immer noch besser als manches, was er während seiner Zeit als Söldner gegessen hatte.
Er würde einen neuen Job brauchen. Einen, bei dem man nicht viele Fragen stellte. Einen, bei dem er das, was er gelernt hatte, sinnvoll einsetzen könnte. Er beschloss an diesem Abend, in die Schatten zu gehen.
Sergej kannte bestimmt ein paar Leute, die einen Experten im Umgang mit Waffen brauchen konnten…