Als Spielleiter hat man die Aufgabe, die Geschichte für die Spieler interessant zu halten. Das bedeutet auch, dass man „gute“ NSC aufbaut. Wenn man es schafft, einen NSC zum Erzfeind zu machen, so dass die Spieler (und nicht nur die Charaktere) diesen besiegen wollen, ja, ihn gar in der Hölle schmoren lassen wollen, wenn die Spieler selbst dem Typen gerne Gewalt antun wollen, wenn die Emotionen hoch kochen und nur der Anschein, dass der Gegner auf der Bildfläche erscheinen könnte, dazu führt, dass die Spieler sich aufrecht hinsetzen und anfangen hektisch und laut zu werden, dann habe ich meinen Job als Spielleiter gut gemacht.
Doch wie gelingt es, einen solchen NSC zu erstellen? Ich möchte im Folgenden ein paar meiner Erfahrungen in diesem Bereich zusammenstellen und erläutern.
Arten von Erzfeinden
Zunächst einmal sollte man sich Gedanken darüber machen, welche Art von Erzfeind man aufbauen möchte. Es gibt da viele Möglichkeiten, mit ein paar davon hatte ich etwas mehr Erfolg.
Der Zerstörer
Der Zerstörer ist ein NSC, der die Ressourcen, die Heimat, die Familie oder etwas anderes zerstört, das den Charakteren wichtig ist. Hier muss man vorsichtig sein, denn als SL sollte man nicht unbedingt etwas unwiderruflich aus dem Spiel nehmen, für das die Spieler schwer gearbeitet haben, denn man sollte ja nicht den Spaß am Spiel verlieren. Allerdings kann dies auch dazu führen, dass dieser NSC auch dadurch gehasst wird. Wichtig ist hierbei auch, klar zu stellen, warum die Güter der Charaktere vernichtet werden. Wenn es sich dabei nur um einen „in Kauf genommenen“ Kollateralschaden handelt ist das ärgerlich, nimmt sich aber jemand z.B. aus Rache gezielt die Ressourcen der Charaktere vor, dann ist das ein persönlicher Angriff, der schon viel eher eine geplante Reaktion hervorruft.
Der Doppelgänger
Der Doppelgänger ist ein Gegner, der über die Fähigkeit verfügt, die Charaktere zu personifizieren, meist mittels Magie, aber auch durch Verkleidungen. Der NSC muss die Charaktere dazu schon in gewisser Weise kennen. Er kann dadurch Misstrauen unter den Charakteren erzeugen, die Freunde der Charaktere von diesen trennen, den Ruf der Charaktere zerstören und vieles mehr.
Ich habe einen solchen Gegner mal in einer Shadowrun-Runde eingesetzt. Er war ein Adept, der sich auf die Verkörperung anderer Menschen spezialisiert hat. Es begann damit, dass ich den Charakteren eine Nachrichten-Sendung zusammengestellt habe, in deren Verlauf einer der Charaktere als Mörder gesucht wurde. Zunächst einmal stellte sich die Frage, ob dies der Charakter wirklich selbst war. Das war jedoch schnell geklärt. Als dann auch noch andere Charaktere verkörpert wurden, wurde es langsam unangenehm. Die Gruppe konnte den NSC schließlich aufspüren, aber dieser hielt sich in einer Yakuza-Versammlung auf und hatte die Identität des Oyabun angenommen, der selbst jedoch ebenfalls anwesend war. Die Gruppe wollte den Gegner zu diesem Zeitpunkt schon so sehr loswerden, dass sie kurzerhand mit allen Waffen die Yakuza angriff, was auf deren Seite größere Verluste bedeutete und dabei wurde beinahe sogar der echte Oyabun getötet. Die Gruppe wurde von nun an auch von der Yakuza verfolgt, die natürlich Rache wollte. Der Doppelgänger hatte also sein Ziel erreicht.
Leider kann man einen Doppelgänger nur selten einsetzen, da er natürlich ein sehr spezialisierter Charakter ist und einiges an Vorbereitung erfordert, um ihn in ein Spiel einzuarbeiten.
Der Betrüger
Einer meiner liebsten Gegner ist der Typ „Betrüger“. Wo der Doppelgänger Misstrauen verursacht, baut der Betrüger viel eher auf Vertrauen. Er nutzt schamlos das Vertrauen der Charaktere aus, benutzt sie für seine eigenen Zwecke und versucht, sich nicht allzu schnell zu offenbaren.
Als Beispiel möchte ich hier eine Kurz-Kampagne anführen, die ich seinerzeit bei DAS geleitet habe. Die Charaktere wurden vom Geweihten eines „verfluchten“ Dorfes gebeten, 12 Artefakte zu beschaffen, eines für jeden der Zwölfgötter. Der Geweihte wirkte verzweifelt und benötigte dringend die Hilfe der Charaktere. Nach einer mehrere Spielabende dauernden Artefakt-Jagd, in deren Verlauf die Charaktere auf Greifen trafen, Visionen hatten und bei denen ihre Moral und Entschlossenheit mehrfach geprüft wurde, kamen sie mit den Artefakten in das Dorf zurück. Dort entpuppte sich der Geweihte als Namenlos-Geweihter, der die 12 Artefakte benötigte, um nun den wirklichen Fluch zu wirken, durch den er die Dörfler in die Fänge des dreizehnten Gottes treiben konnte. Allein das Gefühl, für dunkle Zwecke missbraucht worden zu sein, machte den Gegner zu einer Art Erzfeind, obwohl er bei der Artefakt-Jagd nicht einmal zugegen war und somit eher eine Nebenrolle spielte.
Der Betrüger ist vielfältig einsetzbar. Er kann zwar als einzelner NSC nur einmalig verwendet werden, da die Charaktere ihm nach der Enthüllung niemals mehr vertrauen werden, aber das Motiv des Betrügers an sich kann – im Gegensatz zum Doppelgänger – oftmals wiederverwendet werden. Wenn man es als Spielleiter sehr häufig verwendet, könnten die Spieler bald keinem NSC mehr wirklich vertrauen. Und das kann man als Spielleiter auch wieder gut verwenden…
Die Nemesis
Das Konzept der Nemesis ist sehr aufwändig für den Spielleiter, aber auch sehr lohnend. Ich stelle gerne eine Gruppe NSC zusammen, die über ähnliche Stärken und Schwächen verfügen, wie sie auch die Spielercharaktere haben. Das ist dann meine Nemesis. Da sie vielleicht auch ähnliche Ziele haben, könnte schnell ein Streit zwischen NSC und SC über Ressourcen entstehen. Vielleicht ist die Nemesis aber auch im Auftrag eines anderen aktiv, der diese Gruppe bewusst zusammengestellt hat, um die SC aufzuhalten, z.B. ein bereits aufgedeckter Betrüger, der nun Rache verüben will.
Mein Beispiel hier soll unsere Shadowrun-Runde sein. Der oben bereits erwähnte Doppelgänger war mein Gegenentwurf zu unserem sozialen Adepten, unser Schwarzmagier-Elf, der Orks hasst, bekam einen orkischen Voodoo-Houngan als Gegenstück, der Rigger-Hacker musst sich mit einer Künstlichen Intelligenz messen, die kampfstarke Trollin bekam einen Ork-Söldner-Adepten, der beinahe nicht zu treffen war und der Katana-schwingende, vercyberte Straßensamurai erhielt als Gegenstück einen Jaguar-Gestaltwandler, der ebenfalls mit Klingenwaffen umgehen konnte. Ursprünglich sollte diese Gruppe die Spieler-Charaktere nur von einem größeren Plan ablenken, aber die Emotionen der Spieler sorgten schnell dafür, dass das Hauptziel der Mission die Ausschaltung der Gegenstücke wurde.
Die Gruppe kann hierbei nur Erfolg haben, wenn sie wirklich zusammenarbeitet, die jede einzelne Nemesis genau die Stärken des Charakters auffangen kann. Es erfordert hier natürlich einen sorgfältigen NSC-Entwurf und reichlich Planung, damit die Nemesis ihre Wirkung voll entfalten kann.
Techniken
Zusätzlich zu den Archetypen lassen sich auch bestimmte Techniken festhalten, die einen Erzfeind bereichern.
Auch ein Erzfeind braucht Schwächen…
Der Gegner braucht auf jeden Fall gewisse Schwächen, damit die SC ihn letzten Endes auch überwinden können. Dazu sollte man sich vorher Gedanken machen. Im Fall der Nemesis ist dieser Punkt manchmal einfach, denn man kann die (wahrgenommenen) Schwächen der SC auch in die Nemesis integrieren, manchmal ist dies aber zu offensichtlich. Die Schwächen dürfen auch sehr subtil sein. Ein scheinbar unüberwindbarer Gegner, den die Spieler loswerden wollen, kann zu sehr kreativen Einfällen führen. Der oben erwähnte Ork, der scheinbar kaum im Kampf zu besiegen war, wurde letzten Endes in einer Selbstmord-ähnlichen Situation von unserer Trollin gepackt und sie sprang mit ihm über die Brüstung eines Hochhauses, nur durch ein Seil gesichert. Als boshafter SL hätte man noch die Stabilität des Seiles und der Knoten prüfen können…
Auch ein Erzfeind hat Familie, Freunde du Bekannte und in einer Spielrunde ließ die Gruppe alle moralischen Bedenken fallen und nahm sich der Familie und Freunde des Gegners an, um diesen zu unüberlegten Handlungen zu bringen.
Auch Gegner, selbst übermächtige, haben und brauchen Schwächen und die sollte man als SL schon vorher kennen.
…aber auch Stärken
Aber ein wirklicher Erzfeind wird besonders durch die skrupellose Ausnutzung seiner eigenen Stärken gefährlich. Hier sollte man als SL durchaus einen Modus operandi des Gegners entwerfen und an diesem festhalten. Der Gegner hat ein Ziel und sich vielleicht über Jahre hinweg die Fähigkeiten angeeignet, diesen durchzuführen. Leider kommen einem manchmal sogenannte „Helden“ in die Quere…
Die Stärken des Gegners sollten gerne betont werden und in diesem Bereich darf der Erzfeind ruhig übermächtig wirken. Durch die Betonung der Stärken geraten die Schwächen etwas in den Hintergrund und es wird für die Spieler schwieriger, den Gerner zu überwinden.
Motive
Was will der Gegner überhaupt? Wenn man als SL diese Frage beantworten kann, dann hat man einen wichtigen Schritt getan. Denn durch das Ziel definieren sich auch mögliche Handlungen. Als SL hat man dann den Vorteil, dass die NSC nicht unbedingt moralischen Zweifeln unterlegen sind, obwohl dies auch ein interessantes Thema sein kann. Ein Gegner der SC, der bereit ist, ganze Länder ins Chaos zu stürzen, um selbst die Weltherrschaft zu erreichen, aber Bedenken hat, das Leben von Kindern zu gefährden, kann überaus interessant sein. Wollen die SC wirklich Kinder als Schutzschild einsetzen? Oder gibt es vielleicht andere Wege?
Bloße Zerstörungswut eignet sich meiner Ansicht nach eher selten als Motiv. Macht ist da schon besser geeignet. Ruhm ist besonders gut, denn dann hat man vielleicht den Gegner, der für seinen Plan bewundert werden will und den SC in einer speziellen Situation von seinem grandiosen Plan erzählt, ebenso wie dies Comic-Schurken oftmals tun, wenn sie glauben, den Helden besiegt zu haben.
Der Erzfeind darf wieder kommen
Ganz wichtig für einen Erzfeind: Er darf wiederkommen! Ein Gegner, der am Ende einer Spielsitzung stirbt, eignet sich kaum als Erzfeind. Ein solcher Gegner braucht Zeit, um das Ziel des geballten Hasses der Charaktere und hoffentlich auch der Spieler zu werden. Er muss jemand sein, den man hinter allen Arten von Plänen vermutet, der jederzeit mit hämischen Grinsen auftauchen und den Charakteren von ihrem Scheitern erzählen kann. Vermuten die Spieler einmal hinter beinahe jedem Ereignis die Handlungen des Gegners, dann ist er ein wirklicher Erzfeind geworden.
Man sollte sich als SL immer vorher überlegen, wie der Gegner entkommen kann. Selbst ein vermeintlicher Tod ist hier möglich. In vielen Rollenspielen gibt es Regelungen für die Spieler, dem Tod noch einmal von der Schippe zu springen. Warum sollte nicht auch ein besonderer Gegner diesen Vorteil nutzen und so aus einer Notsituation entkommen?
Der Erzfeind muss sterben?
Irgendwann muss man seinen Spielern auch die Genugtuung geben, den Gegner endlich zu besiegen. Als SL sollte man auch irgendwann eine Möglichkeit bieten, den jetzt hoffentlich extrem verhassten Gegner wirklich zu erledigen. Wenn der bereits mehrfach seinen Tod vorgetäuscht hat oder diesem mittels spezieller Methoden entronnen ist, dann kommen die Spieler irgendwann auch auf kreative Ideen. Sie sind vielleicht gewillt, den Gegner in einen aktiven Vulkan zu werfen, nur damit er nicht wieder zurückkehrt (wobei dann der Geist des Gegners noch auf Rache aus sein könnte <diabolisches Grinsen>).
Es gibt allerdings auch Alternativen. Die oben erwähnte Künstliche Intelligenz wurde schließlich zur Verbündeten der SC, da der Rigger-Hacker bereit war, mit ihr trotz allem eine Liebelei einzugehen. Nicht jeder Erzfeind braucht oder verdient den Tod.
Spielerwissen subtil einsetzen
Eine überaus gemeine Methode, die Emotionen der Spieler aufzuwiegeln, besteht darin, sich des Spielerwissens zu bemächtigen. Wir alle reden gerne über unser Rollenspiel-Hobby, und als findiger SL kann man diese Gespräche zwischen den Spielabenden auch dazu benutzen, den nächsten Abend schon stimmungsmäßig vorzubereiten. Man muss den Spielern nur ein paar subtile Hinweise geben, die vielleicht nicht einmal direkt mit dem Abenteuer zu tun haben. Wenn dann die emotionalen Momente kommen, wird es den Spielern schwer fallen, zwischen Spieler- und Charakter-Wissen zu unterscheiden und die Situation wird noch spannender.
Das ist mir bei einer unserer Ars-Magica-Abende recht gut gelungen. Normalerweise spiele ich einen NSC „nebenher“, der von den Spielern als Verbündeter sehr geschätzt wird. Ich habe nur beiläufig gegenüber einigen Spielern erwähnt, dass ich dem Charakter nicht gerecht werde, wenn er „nebenher“ gespielt wird und dass ich als SL den Charakter so nicht mehr spielen möchte. Am Spieleabend verlangte nun der Gegner ein „Opfer“ und mein „Nebenher“-NSC bot sich an. Ein Spieler erwähnte, unter Verweis auf die Trennung von Spieler- und Charakter-Wissen, dass er das ja jetzt nicht gut fände, weil er ja wüsste, ich wolle den Charakter nicht mehr spielen. Meine Frau war so sauer über die Situation, die im Übrigen nicht zum Tod des Charakters führte, sondern nur den Anschein erweckte, dass die anderen Mitspieler schon darüber nachdachten, ob ich auf der Couch schlafen müsste. Ziel erreicht, würde ich sagen!
Fazit
Ein guter Gegner braucht Zeit und Fürsorge. Er sollte mit ebenso viel Hingabe entworfen werden, wie man als Spieler auch einen Charakter entwerfen würde. Er darf weitaus mächtiger sein als die Charaktere, aber nicht vollkommen unüberwindbar. Dann bleibt er sicherlich in gehasster Erinnerung der Spieler.