Angeregt durch einen Artikel von Freund Talasu, möchte auch ich ein wenig über den Umgang mit dem Thema Tod im Rollenspiel anhand verschiedener Systeme referieren und es erscheint mir, als ob ein Rollenspiel mehr Möglichkeiten und Optionen zum Rollenspiel bietet, je tödlicher es ist. Klingt seltsam, aber vielleicht kann der ein oder andere meiner Argumentation folgen.
Dazu möchte ich verschiedene Spielsystem in vier Kategorien aufteilen, erläutern, was sie von anderen unterscheidet und welche Auswirkungen dieses System auf den Spielverlauf, auf Spieler und Charaktere hat, sowie einige Tipps für Spielleiter geben, die mit solchen Spielsystemen umgehen möchten.
Natürlich verfügt jedes Spielsystem über eigene Mechanismen, die es ein wenig erschweren sollen, den lieb gewonnenen Charakter zu verlieren, aber grundsätzlich gibt es in verschiedenen Systemen ganz andere Ansätze, ob man einen Charakter verlieren kann oder nicht oder wie schwer dies ist. Das führt dann auch zu ganz unterschiedlichen Spielweisen.
Stufe 1 – Hier wird nicht gestorben!
Diese Systeme umgehen den Tod eines Charakters weitestgehend, indem es sehr schwer wird, einen Charakter (auch einen NSC) zu töten. Ein Beispiel hier ist für mich Mutants & Masterminds, denn dort wird ein Charakter als im Kampf besiegt angesehen, wenn dieser Außer Gefecht ist. Um diesen in den Zustand „Sterbend“ zu versetzen ist ein weiterer Angriff notwendig, nun kann der Gegner hoffen, dass der Charakter von alleine stirbt oder einen dritten Angriff durchführen, um diesen endgültig zu töten. Kurz gesagt: Wenn man hier stirbt, ist dies schon boshafter Vorsatz mit zweimaligem Nachtreten!
Dies führt natürlich zu enorm heldenhaftem Spiel – bei Mutants & Masterminds gemäß der Comic-Vorlage der Superhelden durchaus gewollt. Die Charaktere haben kaum etwas zu befürchten, denn das schlimmste Schicksal ist überaus unwahrscheinlich. Solche Systeme sind dementsprechend oftmals auch sehr Kampf- und Würfellastig, Fähigkeiten werden in Kampfnutzen gemessen und alles andere ist reine Entscheidung. Um dies zu erkennen, muss man sich in Mutants & Masterminds nur einmal ansehen, wie viele Vorteile, Kräfte und Fähigkeiten auf den Kampf ausgerichtet und dass z.B. Erfindungen nur auf einer halben Seite im Grundregelwerk abgebildet sind.
Tipps für Spieler
Spielt Eure Charaktere voll aus. Nutzt alle Fähigkeiten. Habt Spaß, einfach mal ein paar Leuten Schläge zu verpassen, aber denkt daran: Wenn ihr anfangt zu töten, dann kann der SL dies auch tun.
Tipps für Spielleiter
Ihr könnt hier nicht wirklich viel falsch machen. Die Gegner töten ebenso selten wie die Helden. Sollte ein Gegner wirklich so skrupellos sein, seine Opfer zu töten, so sollte dies vorher angekündigt werden, z.B. indem dieser Gegner einen bis dahin wichtigen NSC tötet. Dies sollte dann auch für die Spieler das Signal sein, dass es jetzt ernst wird.
Stufe 2 – Hast Du einen Wiederbelebungszauber parat?
Diese Systeme sind noch wesentlich kampflastiger als die in Stufe 1 und dort sind Kämpfe auch weitaus variabler. Kritische Treffer können leicht einen vollständig gesunden Charakter töten. Um dessen Herr zu werden, wurden dort Möglichkeiten integriert, Charaktere von den Toten auferstehen zu lassen. Zu nennen sind hier insbesondere die Varianten und Versionen von Dungeons & Dragons inklusive Pathfinder. Bei D&D 4 ist mir dies ganz besonders aufgefallen, da offizielle Abenteuer praktisch nur aus Karten und Kampfbegegnungen bestehen und nahezu alle Fähigkeiten der Charaktere irgendwie auf einen Einsatz im Kampf ausgerichtet sind. Stirbt ein Charakter, so schleppt man diesen zum nächsten Tempel und lässt in mittels entsprechender Zauber unter Aufwand erbeuteter Schätze (von denen es auch reichlich gibt) wiederbeleben – vielleicht hat man gar das Glück, den Heiler hochstufig bereits in der eigenen Gruppe zu haben, so dass dieser lästige Weg entfallen kann.
Für das Spiel bedeutet dies: Tür auftreten, Monster plätten, Schatz rauben. Der Kampf ist hier zentrales Element vieler Abenteuer, denn wenn es einmal schief läuft, gibt es ja Zauber, die alles wieder gerade biegen. Charaktere bestehen hauptsächlich aus Kampfwerten – die anderen kommen im Spiel oftmals nur wenig zur Geltung. (So hat z.B. mein Pathfinder-Magier viele Zauber in seinem Zauberbuch, die er noch nie vorbereitet hat, ist doch die Wahrscheinlichkeit, diese zu nutzen zu gering.)
Tipps für Spieler
Nur nicht aufgeben! Du kannst heldenhafte Dinge vollbringen – hoffentlich sorgt der Rest deiner Gruppe für eine Wiederbelebung! Es kann schon frustrieren, wenn der selbe Charakter zum achten Mal stirbt und wider ein Diamant für den „Tote erwecken“ futsch ist, aber keine Sorge, am Ende wirst Du die Gegner besiegt haben – und falls nicht, wiederbeleben und nochmal versuchen!
Tipps für Spielleiter
Sorgt dafür, dass das Spiel nicht zu eintönig wird. Lange Kämpfe mit massig Würfeln sind nicht jedermanns Sache. Und wenn man den Gegner zum dritten Mal bekämpft, weil man bei vorherigen Versuchen dank kritischer Treffer schon einmal gestorben ist und sich neu formieren musste, wird es bald etwas schwierig. Ansonsten kann man dieses Spiel spielen und die Würfel bestimmen lassen, was passiert – ist ja nicht so schlimm, wenn einer stirbt, solange die Wiederbelebung möglich ist.
Stufe 3 – Stirb, vielleicht kommst Du wieder!
Das typische Beispiel für diese Stufe ist für mich Das Schwarze Auge – hier kann ein Charakter durchaus sterben und es ist höchst ungewiss, ob eine Wiederbelebung erfolgt, allerdings ist sie hier möglich. Große Wunder der Götter erlauben auch einen so tiefgehenden Eingriff wie die Wiederbelebung von toten Charakteren. Dies kommt jedoch sehr selten vor. Im System ist so etwas vermutlich vorgesehen, um einmal einen großen Patzer und wirklich unglückliche Umstände auszugleichen.
Im Spiel sind auch andere Werte wichtig. Wie viele Zauber und Liturgien gibt es bei DSA, die sich nicht effizient im Kampf einsetzen lassen und doch häufig im Spiel verwendet werden? Bei der Gefahr des Todes im Kampf müssen Kämpfe seltener werden, denn je häufiger Kämpfe sind, umso wahrscheinlicher wird auch der Tod eines Charakters, der nur schwierig abzuändern ist. Abenteuer involvieren häufig Reisen, Intrigen und soziale Interaktionen – also eine Art von Wettstreiten, die nicht zwangsläufig tödlich enden muss und somit einen Ersatz für Kämpfe in anderen Systemen darstellen. Dadurch werden auch die Geschichten viel tiefsinniger, Informationen werden wichtiger und die Spieler werden umfassender in die Geschichte eingebunden.
Auch bei der Charaktererschaffung treten plötzlich andere Werte in den Vordergrund: Die vielen verschiedenen Talente bei DSA zeigen, dass eine umfassende Bildung vielleicht sinnvoll sein kann. Braucht man bei Systemen der Stufe 1 und 2 noch hauptsächlich Kampfwerte, ist hier auch sozialer Umgang erforderlich, denn es könnte ja sein, dass man einen Kampf eben gerade dadurch verhindern kann.
Tipps für Spieler
Bei diesen Systemen ist ein vielschichtiger, lebendiger Charakter erforderlich. Macht Euch Gedanken um dessen Vorgeschichte, Marotten, Eigenheiten und Ansichten. Das soziale Feld ist wichtiger als in anderen Systemen, wodurch auch ethische Entscheidungen und Ansichten eine größere Rolle spielen – da sollte man schon wissen, welche Ansichten der eigene Charakter so hat. Versucht Kämpfe zu umgehen! Kapituliert, wenn ihr verliert! Sonst ist euer Charakter tot und ein neuer ist wieder mit Aufwand verbunden.
Tipps für Spielleiter
Schätzt die Mühe, die sich die Spieler mit ihren Charakteren machen. Die Charaktererschaffung ist bei diesen Systemen oftmals aufwändiger als bei eher kampflastigen Systemen, daher sollte der Charakter schon auch einige Zeit spielbar sein und nicht beim ersten Endgegner das Zeitliche segnen.
Stufe 4 – Er ist tot, Jim!
Dies ist die tödlichste Stufe. Bei diesen Systemen heißt „tot“ auch „tot“. Es gibt keinerlei Wiederbelebung, auch nicht ausnahmsweise durch bedeutende, schicksalhafte Mächte wie Götter. Beispielhafte Systeme sind u.a. Shadowrun, die Welt der Dunkelheit (alt wie neu) oder Ars Magica. Diese Systeme bieten einen gewissen – oftmals nur geringen – Wert, bis zu dem man Schaden einstecken kann und dann ist es vorbei.
Im Spiel führt dies dazu, dass Kämpfe entweder sehr selten sind – wie beispielsweise bei Vampire, wo es primär um Intrigen geht – oder diese erfordern eine sorgfältige Planung – wie bei Shadowrun – damit der Tod unwahrscheinlich wird. Informationen sind das A und O bei diesen Systemen, denn nur so werden die Charaktere in die Geschichte integriert und können versuchen, den Tod zu vermeiden.
Tipps für Spieler und Spielleiter
Hier gilt im Großen und Ganzen das Gleiche wie bei Stufe 3. Es ist der Charakter und die Geschichte, die zählen, und nicht die Würfel.
Letzte Worte
Ich persönlich bevorzuge Rollenspiele, die starke erzählerische Momente habe, weswegen meine Präferenzen durchaus bei Spielen der Stufen 3 und 4 liegen. Spieler werden angeregt, vorsichtig, planvoll und kreativ zu handeln, damit ihre geliebten Charaktere nicht sterben – oder zumindest nicht dann, wenn sie es nicht wollen. Man ist bereit große Mühen in einen Charakter zu stecken, diesem Marotten und Persönlichkeit zu verleihen und kommt so zwangsläufig zu einem eher realistischen Rollenspiel. Manchmal rennt man lieber weg oder macht einen Rückzug, um sein Leben zu schützen. Das Rollenspiel wird somit – alleine durch die Gefahr eines endgültigen Todes – realistischer.
Als Spielleiter versuche ich, die Charaktere nicht zu sehr töten zu wollen – es sei denn der Spieler oder die Spielerin zeigen durch dummes Verhalten explizit an, dass ihre Charaktere eher suizidal veranlagt sind. Und wenn doch jemand sterben sollte, so bin ich immer dafür, dem Charakter noch eine letzte große Szene zu geben, um diesen in der Erinnerung zu halten, denn schließlich sind es die Geschichten, die erzählt werden, die den wahren Reiz des Rollenspiels ausmachen.
Sterben und sterben lassen…
…folge ich deiner Theorie, so ist der „DSA-Alrik“, der nicht viel von der großen weiten Dere-Welt kennt, der bessere Tote, als der Pathfinder-Schurke, der ebenfalls keine Ahnung hat. 😀
Ich denke: Sterben und sterben lassen. Jeder wie er mag, jeder wie er denkt.
Ob mir meine Ifirn-Geweihte mehr ans Herz gewachsen ist als meine Troll-Bombenlegerin… kann ich nicht sagen!
Hauptsache, man spielt lebendig und über mehrere Sessionen… der Rest kommt von alleine – und dann tut auch irgendwann das „Sterben“ weh… (Oh, welch´ geflügelte Symphonie).
🙂
Für Stufe 1 hätte ich noch das Maid RPG als Beispiel. Dort sterben die Charaktere gar nicht mehr. Sie nehmen nicht einmal Schaden sondern Stress. Nehmen sie zu viel Stress, löst sich der Konflikt für sie in ihrer Stress Explosion d.h. die Spieler verlieren zeitweise die Kontrolle über ihren Charakter, der ein Vermeidungsverhalten ausübt, um über den Stress hinwegzukommen. Die Bandbreite reicht von wildem Umsichschlagen, alles stehlen, was nicht niet- und nagelfest ist, bis weinend in die Ecke stellen oder sofortiges Hinlegen und schlafen. Ich weiß kaum, wie mehr Unsterblichkeit möglich sein soll.
Das ist wirkliche Unsterblichkeit! Wäre vielleicht sogar schon Stufe 0… 😉
Hey,
da findet man die Seite hier durch Zufall, und auch gleich nebendran einen Beitrag zu dem man etwas Senf abgeben möchte.
Der Betrachtung und „Analyse“ der verschiedenen Spieldesign „Paradigmen“ ist interessant und Ich möchte so zustimmen, nur der kleine Satz gegen Ende…
„Als Spielleiter versuche ich, die Charaktere nicht zu sehr töten zu wollen – es sei denn der Spieler oder die Spielerin zeigen durch dummes Verhalten explizit an, dass ihre Charaktere eher suizidal veranlagt sind.“
… stößt bei mir ein kleines bisschen Sauer auf, natürlich unter Berücksichtigung des „Spielen und Spielen lassen“.
Ich habe früher einmal, als Spieler, diese Ansichtweise zu „hassen“ gelernt, und damit auch Systeme, die hier als Stufe 3 oder 4 aufgeführt werden, bis Ich einmal eine andere SL erleben konnte. (und ja, mein Problem ist dadurch eher die Erfahrung mit dieser speziellen „SL“, die diese Ansichtsweise des, Ich sag mal, Metaspieldarwinismus‘ als Ausrede dafür aufstellte, die Natur „Ihrer“ Spielwelt darzulegen).
Nun werde Ich hier keinen mit meinem Geschreibsel „erleuchten“ (denke Ich mal), aber dennoch: Es gibt keine dummen Spieler. Es gibt Spieler, die bewusst(!) einen Charakter spielen, der unüberlegt (oder schlicht dumm) handelt. Es gibt Spieler, die einfach keinerlei _Ahnung_ haben, weil sie „neu“ in der jeweiligen Spielwelt sind, und dann natürlich noch Spieler, die eine völlig andere Art von Spiel erwarten (so gibt es z.B. die Spieler, die Shadowrun nur so kennen/spielen, dass wild schiessend Don Mafiosos Braut geklaut werden kann und dieser danach niemals „zurückschlägt“.)
Aber in keinem dieser Fälle ist der Spieler wirklich „dumm“, und auch wenn Ich dem Autor hier gar nichts „böses“ unterstellen will, wage Ich zu sagen: Wenn die am Rollenspiel beteiligten soweit gehen, einander als Dumm zu betrachten, gibt es schon ein Problem, dass (versuchsweise) ausserhalb des Spiels geklärt werden sollte: die Fälle zwei und drei sind m.E. nach nämlich Kommunikationsmängel zwischen Spieler und SL.
Es ist eine Sache, wenn der Spieler seinen Charakter suizidal handeln lässt, weil es zu seinem Charakter passt, aber eine völlig andere, wenn die „Dummheit“ aus der Ahnungslosigkeit des Spielers herauskommt, und zum Wohle des Spielspasses aller Beteiligten sollte diese Ahnungslosigkeit (selbstverständlich) aus der Welt geschafft werden, bevor dieses Thema durch das Ableben eines Spielercharakters emotional wird.
(This is Captain Obvious, signing off.)