Kein König, kein Gott, kein Erzdämon herrscht über den freien Geist. Eingebung, Kühnheit, Vernunft und Zweifel sind die vier Türme, auf denen das Genie sein Werk errichtet.
(Inschrift über dem Bibliotheksportal der Schule der variablen Form, Übersetzung aus dem Zhayad)
Zunächst einmal muss ich all den impertinenten, abergläubischen Kleingeistern eines mitteilen: Ein Schwarzmagier taucht nicht aus den Niederhöllen auf und versucht Euer kleines, bescheidenes Dorfleben aus purer Freude am Chaos zu vernichten, aus den Angeln zu hebeln und Eure minderbemittelten Geister zu unterwerfen. Sollte ich dieses wünschen, so würde ich für ein bis zwei Jahre an der Al-Achami studieren, die Lehren Thomeg therions verinnerlichen und könnte Euch innerhalb eines Wimpernschlages meinem Willen unterwerfen und Ihr würdet nicht einmal wissen, was Euch widerfahren ist.
Viel wichtiger für jeden Schwarzmagier ist es, einen freien Geist zu besitzen, dem keine Hürde zu hoch ist, dessen unglaubliche Macht niemals in Worte zu fassen ist, der von Niemandem beherrscht wird und der sich von keinerlei Regeln einschränken lässt.
Ich werde Euch daher einmal darlegen, wie mein Leben verlaufen ist und wie ich zu dem wurde, der ich heute bin.
I. Die Familie eines Magiers
Meines Vaters Name ist Geraldo Sevastanio Enriscez, Praefect-Inspectorio im Amt für arcano-technische Methoden am Hofe von König Damian von Shoy’Rina in Mirham. Meine Mutter ist unbedeutend, sie war seine Leibsklavin, die einige Jahre nach meiner Geburt aus der Sklaverei floh und anschließend mit dem Tode bestraft wurde, wie es für eine entflohene Sklavin, die auf der Flucht getötet hatte, rechtens ist.
Wie ihr seht, trauere ich meiner Mutter nicht nach. Dies hat zwei Gründe: Primo war sie nur eine Sklavin, Secundo war sie offensichtlich mehr an sich selbst interessiert als an ihren zwei Söhnen. Letzteres wiederum schätze ich allerdings auch: Sie hatte trotz jahrelanger Sklaverei einen freien, unabhängigen Geist bewahrt und nutzte ihre Chance zur Flucht. Sie war allerdings nicht intelligent genug, weit in den Norden zu fliehen, wo sie sicherlich unbehelligt hätte leben können. Stattdessen floh sie nach Al’Anfa – wie dumm kann man nur sein – wo sie als entlaufene Sklavin gefasst und zur Verantwortung gezogen wurde.
Ja, sie gebar meinem Vater zwei Söhne, mein älterer Bruder Sigario Desmondo Enriscez verfügt allerdings nicht über die Gabe, die ich anscheinend von meinem verstorbenen Großvater geerbt habe, der heute noch als Untoter einem Brabaker Nekromanten dient. Aus diesem Grunde sorgte mein Vater dafür, dass mein Bruder eine Anstellung bei Hofe bekam und wohl die Tradition als Hofbeamter fortsetzen wird, wie schon Generationen meiner Familie dies tun, sofern sie nicht über die Gabe oder andere Talente verfügen, zu denen sie besser geeignet sind, wie dies par exemplio bei meinem Onkel Surrego der Fall ist. Er ist von starkem körperlichen Wuchs und machte Karriere bei den kriecherischen Gottesdienern der Rabengarde zu Al’Anfa.
II. Eine Kindheit am Königshof
Mein Vater wünschte, uns als seine Söhne schon frühzeitig an die Gepflogenheiten des Königshofes und seiner Adligen zu gewöhnen, damit uns schon frühzeitig Möglichkeiten für eine angemessene Karriere bei Hofe offen stünden. Aus diesem Grunde waren wir schon als Kinder in die Machenschaften des Hofstaates verwickelt, übten uns in Etikette und erhielten sogar Gelegenheiten, auch mit dem Prinzen Themodates von Shoy’Rina als „Spielgefährten“ Umgang zu pflegen. Dies alles sollte natürlich dazu dienen, uns dem Erben des Opalthrones bereits nahe zu bringen, auf dass dieser seine „Kindheitsfreunde“ vielleicht eines Tages mit einem Amt bedenken würde.
Ich sage Euch direkt, solche Langeweile wie zu den Stunden, die ich bei Hofe verbringen musste, habe ich selten wieder erlebt, und es widerstrebt mir zutiefst, jemals eine Anstellung als „Hofmagier“ anzunehmen. Natürlich gibt es durchaus interessante Intrigen, die man mit etwas Magieeinsatz würzen kann, aber stets als Bückling vor einem Menschen zu knien, der nicht einmal im Entferntesten erahnen kann, welche Möglichkeiten einem Magier zur Verfügung stehen ist würdelos.
III. Arkane Phänomene
Glücklicherweise sollte es für mich anders laufen, obwohl ich das Beamtenschicksal meines Bruders manchmal bedauere.Es geschah kurz vor meinem zehnten Tsatag, da ich auf einem Fest des Königs am Ufer der Träne der Sternenkonkubine saß – für die Unwissenden unter Euch: dies ist ein künstlicher See im Garten der Himmlischen Ruhe, der direkt hinter dem Königspalast zu Mirham gelegen ist – und ich ärgerte mich darüber, dass nicht ich, sondern mein Bruder mit dem Prinzen eine Bootsfahrt auf diesem See machen durfte. Mein Ärger wuchs und wuchs und plötzlich merkte ich, dass sich in meinem Geiste etwas löste, Wellen traten auf dem See auf und eine Welle spülte meinen Bruder von Bord und er fiel ins Wasser, genauso, wie ich es wenige Sekunden zuvor laut gewünscht hatte.
Eine Konkubine des Königs hatte meinen Wunsch und den darauf erfolgten Vorfall beobachtet und meinem Vater berichtet, so dass ich kurz darauf zur Magierakademie von Mirham gebracht wurde, damit ich auf eine eventuell vorhandene Begabung untersucht würde.
IV. Probatio
Also wurde ich zur Akademie der Vier Türme gebracht. Mein Vater versicherte mir, dass mir nichts geschehen würde, aber als Kind hat man gewisse Vorurteile, wenn man an den einzigen Ort in der ansonsten weiß getünchten Stadt gebracht wird, der aus grauem und schwarzen Gestein errichtet wurde und an dem sich Magier aufhalten, von denen die Kinder sich Schauermärchen erzählen. Die Zugänge wurden von Marus bewacht, aufrecht gehenden Kaimanen, die mit Krummsäbeln bewaffnet jeden anstarren, als wäre er ein geeignetes Frühstück. Zwei Lehmgolems bewachen den Eingang, durch den wir als Besucher eintreten mussten, und direkt dahinter erwartete uns ein Säulengang aus grünem Marmor, Deckenmalereien zeigten Magier und magische Errungenschaften. Nach einiger Wartezeit wurden wir noch in diesem Säulengang von Spektabilität Salpikon Savertin mit seinem bunt gefärbten Haar, einer Pfeife im Mundwinkel und in Begleitung einer Achaz mit golden schillernden Augen begrüßt. Hatten Gebäude, Marus, Golems und Säulengang mich noch nicht genügend eingeschüchtert, so wurde der Rest von Salpikon Savertin erledigt, der mich mit prüfenden Augen anblickte.
Mein Vater wollte sein Anliegen vortragen, brachte aber nur zwei Worte hervor, bevor Savertin seine rechte Hand in einer gebieterischen Geste hob und nur kühl sagte: „Ich weiß! ANALYS ARCANSTRUKTUR“.
Offensichtlich fiel seine Prüfung, die etwa drei Stunden dauerte und in der ich diverse Fragen beantworten musste, zu meinen „Gunsten“ aus, denn wenige Tage später zog ich mit ein wenig Gepäck in der Akademie ein.
V. Die Zeit als Scholar
Meine anfängliche Angst war schnell überwunden, als ich sah, welch Luxus sogar den Scholaren zur Verfügung stand: Leibsklaven, reichhaltiges Essen, Rauschmittel – ich gebe zu, dass ich dafür zu jenem Zeitpunkt noch etwas zu jung war, aber ich hätte es bekommen, wenn ich gewollt hätte – alles, was wir wünschten, hätten wir erhalten. Zwei Menschen sollten mir jedoch in der Anfangszeit helfen, einmal Thalio Santez, ein Gleichaltriger, der einige Tage vor mir an der Akademie aufgenommen worden war und Japhaia Sendora, unsere Tutorin, die uns frühzeitig erläuterte, dass Selbstdisziplin die einzige Möglichkeit war, unsere Prüfungen zu bestehen. Ihr müsst wissen, an der Akademie der Vier Türme gilt nur eine Regel: Die Prüfungen müssen bestanden werden, wie sich allerdings der Scholar organisiert und lernt, bleibt weitestgehend ihm überlassen. Jede Prüfung erfolgt in zwei Weisen: Einmal ist da die probabor ad libitum, bei der der Scholar selbst die Umstände der Prüfung festlegt und zum anderen die probabor iussu magistro, die die gleichen Fähigkeiten unter Anspannung und ohne
Vorbereitungsmöglichkeiten prüft.
V.I. Elevia
In den ersten drei Jahren – der Elevia – lernten ich hauptsächlich theoretische Grundlagen der Magie, Rechnen, Schreiben und diverse Sprachen wie Zhayad, Bosparano, Ur-Tulamidya und das beinahe unaussprechliche Rssahh. Zudem kamen Geschichte der Magie und derWelt, Lehmformung (für spätere Vorlesungen in Golembau), sowie Übungen zur Konzentration, Zeichenübungen zum Thesisverständnis, Kristall- und Pflanzenkunde und Grundlagen der Alchimie.
Wir wurden mit Aufräumarbeiten im Laboratorium betraut, wodurch wir die alchimistischen Gerätschaften kennen lernen sollten, mussten die Lotospflanzen im Garten pflegen (als Grundlage und zur Vertiefung der Botanikvorlesungen) und hörten uns philosophische Vorträge von Coadiutories an.
Auch eine Prüfung sollte ich ablegen, um „in den Kreis der Scholaren“ aufgenommen zu werden. Meine Mitschüler stellten mir die „einfache Aufgabe“, eine schwarze Schreibfeder aus den Gemächern des Custos Nestorio zu stehlen. Natürlich hat er mich erwischt, aber entgegen meinen Befürchtungen schien er über meine Erklärungen eher amüsiert zu sein. Er gab mir die Feder und trug mir auf, am nächsten Tag zu ihm zu kommen, damit er mir eine „Strafe“ auferlegen könne. Seine Strafe bestand darin, dass er mir fortan regelmäßig Aufgaben in der Bibliothek auferlegte, Staubwischen, Bücher abschreiben und entlaufene Bücher wieder einfangen – was durchaus wörtlich zu nehmen ist, da es einige Bücher in der Bibliothek der Vier Türme gibt, die man wohl besser als Golems bezeichnet. Eher durch Zufall erlangte ich durch diesen Streich zur Aufnahme einen Mentor, den ich bis heute sehr schätze.
Die Elevia endete nach drei Jahren wie allgemein üblich mit der Spectatio, einer Prüfung, ob der Scholar für die Akademie geeignet ist. Meine Prüfung war erfolgreich, hingegen die Prüfung meines Mit-Scholaren Thalio Santez ergab, dass er wohl besser geeignet sei, um an der Akademie der Herrschaft zu Lowangen zu studieren, wohin er in Folge auch eiligst gebracht wurde. Meine Tutorin Japhaia legte in diesem Jahr ihre Abschlussprüfung ab, wodurch ich kaum noch Freunde und Förderer mit Ausnahme des Custos Nestorio hatte. Ich beschloss, meine Zeit den persönlichen Forschungen in der Bibliothek zu widmen.
V.II. Novizia
Nun war meine Zeit als Novize gekommen, ich wurde von eher lästigen Haushaltspflichten entbunden und musste mich nun der Vertiefung der arkanen Künste widmen. Meine ersten alchimistischen Versuche fielen in diese Zeit und mein erstes selbst gebrautes „Elixier“ war von meiner Pubertät geprägt: ein Potenzmittelchen, das ich in der Folge vermehrt mit einer üppigen Utulu-Leibsklavin genoß. Meine jugendlich sprießenden Körpersäfte, unterstützt von meinem Mittelchen führten jedoch dazu, dass ich zweimal zu spät zu einer Prüfung in Alchimie erschien und diese wiederholen musste. Ich musste mich also mehr auf meine Studien konzentrieren, wollte ich nicht ein ärmlicher Scharlatan werden, der seine Kunst mißbraucht, indem er dem einfachen Volk kleiner Zauberkunststückchen vorführt. Auch die Rhetorik und das Studium der Sprachen gehörte weiter zu meinem Lehrplan, aber von nun an auch die Thesisfixierung und das Lenken, Kanalisieren und Formen der astralen Kraft.
Bei diesen ersten Übungen stellte Magister Baralbus G’Hliatan fest, dass meine astralen Reserven wohl stärker ausgeprägt waren als die meiner Kommilitonen, da er wesentlich länger brauchte, um mich an die Verbotenen Pforten heranzuführen. Ebenso bemerkte Custos Nestorio, dass meine Intelligenz sehr ausgeprägt war. Beides wurde im Folgenden gefördert und kurz nach Bekanntwerdung dieser Gaben trat ein Studiosus aus dem akademischen Zirkel „Sapientiae magicae advitariensis“ auf mich zu und bot mir an, diesem Zirkel, der sich der Erforschung des künstlichen Lebens widmet beizutreten. diesem gehöre ich bis heute an und so gewann ich neue Freunde und Förderer. Ich denke seit einiger Zeit darüber nach, meine Forschungen auch in der Magica advitaria zu vertiefen und mich dem Golembau und der Chimärologie zu widmen, was auch ein einträgliches Geschäft ist.
Wiederum nach drei Jahren musste ich mich nun der Arkanatio unterziehen, eine Prüfung meines bisher erworbenen Wissens. Wer denkt, dies seien einfache Prüfungen, der war noch nicht in Mirham. Ich wurde bei der probabor iussu magistro in einen dunklen Raum zusammen mit einem lichtscheuen Daimoniden gesperrt – eine durchaus übliche Prüfung in Mirham – und war zutiefst erfreut, dass mein FLIM FLAM FUNKEL problemlos funktionierte, den ansonsten wäre ich wohl in Fetzen gerissen worden.
V.III. Studiosa
Nun war ich also Studiosus und diente auch als Tutor für jüngere Eleven. Ihnen bot ich die gleiche harte Gnade ein, die ich dereinst selbst von Japhaia erfuhr. Ich durfte an Forschungsarbeiten und Expeditionen teilnehmen und war besonders bei Magister magnus transformatoricus Baralbus G’Hliatan eingespannt, der mich in seine Forschungen zum DESINTEGRATUS PULVERSTAUB involvierte. Tatsächlich gelang uns gemeinsam ein Durchbruch in der Forschung zu diesem Cantus, wodurch ich tiefere Einblicke darin erhielt.
Ich verbrachte einen Großteil meiner freien Zeit in der Bibliothek, half Custos Nestorio aus und erlernte einige weitere Zauberthesen im Selbststudium. Ich vertiefte mich in die Alchimie und erlernte einige Rezepturen und machte Fortschritte bei meinen Meditationstechniken zur Regeneration meiner astralen Kräfte.
V.IV. Examinatio
Ich fühlte mich auf die Examinatio vorbereitet als sie bevorstand. Ein Jahr lang durfte ich das Akademiegelände nicht verlassen und Prüfung um Prüfung stand mir bevor. Ich ließ mir einen Stab aus dem Holz einer Steineiche schnitzen, dessen Verzauberung den ersten Teil meiner Examinatio ausmachte. Weiterhin standen mir Prüfungen zu diversen Zaubern, die sogenannte Demonstratio bevor. Und ich musste in der Disputatio das von mir erlernte Wissen unter Beweis stellen und meine Lehre verteidigen. All dies gelang mir ohne größere Mühen und ich erhielt meinen Abschluss mit summa cum laude. Da ich der einzige Absolvent meines
Jahrgangs war, hätte mir auch als „Jahrgangsbester“ die Ehrung des Rohalsmals zugestanden, aber ohne wirkliche Konkurrenz bedeutet diese Ehre nur wenig, so dass ich darauf verzichtete. Ehren wollte ich nur erhalten, wenn ich sie wirklich verdient hatte.
Schließlich erhielt ich Buch, Stab und Siegel: mir wurde mein Vademecum ausgehändigt, der Stab, den ich verzaubert hatte und das Siegel der Akademie in die linke Handfläche appliziert. Von nun an war ich Adeptus. Ich hätte das Recht gehabt, einen Magiernamen auszuwählen, aber ich beschloss, den Namen, den ich seit meiner Geburt trug weiterhin zu führen.
VI. Die Zeit als Coadiutorius
Ich beschloss, noch einige Zeit an der Akademie zu verweilen und meine Studien zu vertiefen. Ich erhielt eine zeitweilige Anstellung als Coadiutorius und durfte Magistra ordinaria advitaria Heptaphora als Labor- und Lehrassistent unterstützen. diese Anstellung deckte sich mit Interessen meiner Alumni und in dieser Zeit erfuhr ich, wie einträglich das Geschäft mit Golems für die Akademie war. Ich beschloss daher, meine Studien in Golembau und Chimärologie zu vertiefen und somit vielleicht ein einträgliches Einkommen und vielleicht dereinst eine Anstellung als Magister zu verdienen.
VII. Der Grund des Reisens
Letzten Endes musste ich jedoch einsehen, dass ich Jahre brauchen würde, um meine Ziele zu erreichen. Warum sollte ich nicht auf Reisen gehen, um anderswo verborgenes Wissen zu sammeln und alte Geheimnisse der Magie zu erforschen. Die alten Elemiten waren Meister der Chimärenkunst und die Kophtanim des Tulamidenlandes erschufen Golems, die über das heutige Wissen hinaus gehen. Diese Künste werde ich aufdecken und erforschen. Ich werde sicherlich nach Mirham zurückkehren, um meine Ergebnisse zu teilen und weitere Studien zu unternehmen, aber zunächst einmal ist es Erfahrung und verborgenes Wissen, die mich in die Welt hinaus treiben. Ein Blick hinter den Horizont hat noch niemandem geschadet.