Köln, Internationales Rechenzentrum zur Erforschung künstlicher Intelligenz, Mitte des 21. Jahrhunderts
Das Rechenzentrum war Prof. Mühlhofens Idee. Er hatte die Internationale Gemeinschaft überzeugen können, dass ihm die Mittel zur Verfügung gestellt wurden, um eine echte Künstliche Intelligenz zu erschaffen, lernfähig, adaptiv und den Menschen wohl gesonnen. Mit deren Hilfe, so war seine Argumentation, könne die Wissenschaft einen Quantensprung erzielen, der die menschliche Zivilisation mindestens ebenso weit voran brachte, wie die Entwicklung der Schrift.
Das war vor zehn Jahren. Nun war das Rechenzentrum vollständig und die Künstliche Intelligenz namens „Babbage 1“ war seit drei Tagen aktiv. Es war schier unglaublich, was Babbage in dieser kurzen Zeit gelernt hatte. Mit der Anbindung an das Netz war es Babbage möglich gewesen, die Mathematik und Informatik innerhalb eines Tages komplett zu erlernen. Er hatte bis dato unlösbaren Probleme innerhalb weniger Stunden eine Lösung gebracht und hunderte Wissenschaftler waren nun damit beschäftigt, die Ergebnisse auszuwerten. Prof. Mühlhofen musste bei dem Gedanken lächeln.
Es hatte kritische Stimmen gegeben. Jene, die der Meinung waren, dass die KI außer Kontrolle geraten und sich gegen die Menschheit wenden könnte. Mühlhofens Konzeption sah eine KI vor, die nach Perfektion strebte, aber, so die Kritiker, der Mensch war weit jenseits der Perfektion und eine KI könnte auf die Idee kommen, diese unperfekten Wesen auszulöschen. Ein Teil dieser Kritiker arbeitete in seinem Team. Sie waren dafür verantwortlich gewesen, die Ethik-Subroutinen von Babbage zu programmieren, die es ihm unmöglich machen sollten, die menschlichen Abgründe von Gewalt, Hass und Krieg zu verstehen. Und sie sollten die Entwicklung von Babbage kontrollieren, damit jederzeit ein rechtzeitiges Abschalten der Maschinen möglich war.
Bislang war dies nicht nötig gewesen. Das Wesen von Babbage, soweit man bei einer KI davon sprechen konnte, war von sanftmütiger und gutherziger Natur. Außerdem gab man ihm nur Zugang zu Daten, die von wissenschaftlichem interesse waren. Man steuerte Babbages Lernen. Und es war Babbage nicht möglich die Sicherheitsroutinen zu umgehen. Dort gab es eine programm-technische Sperre, die ohne Fremdeinwirkung nicht zu überwinden war.
Es würde wohl nicht lange dauern und Prof. Mühlhofen würde für sein Engagement und seine Ideen in die Geschichte der Menschheit eingehen. Nicht, dass ihm das wichtig gewesen wäre. Wichtig war vielmehr, dass es vielen Menschen vielleicht in Zukunft möglich war, ein besseres Leben zu führen und das Dank Babbage 1. Er war stolz auf sein Projekt.
Prof. Mühlhofen war gerade dabei einen weiteren Bericht für die UN zu verfassen als eine Durchsage auf den Lautsprechern ertönte.
„Prof. Mühlhofen! Bitte dringend im Labor melden!“
Er fragte sich, was denn so dringend sein konnte. Vielleicht hatte Babbage etwas Revolutionäres entdeckt und es gab neue Ergebnisse. Er zog seinen Kittel über und begab sich ins Labor, wo ihn sein Assistent Dr. Richter mit Panik in den Augen erwartete. Richter war eine jener Kritiker gewesen und hatte in den letzten Tagen im Umgang mit Babbage seine Meinung etwas abgemildert.
„Alle Speicher laufen voll! Professor, ich weiß nicht, was hier passiert!“, waren dieWorte, mit denen er seinen Vorgesetzten begrüßte.
„Die Speicher können nicht voll laufen! Sie würden ausreichen, um Babbage 1 zehnmal im Speicher zu halten, das kann doch nicht sein.“. Der Professor setzte sich an einen Monitor und überprüfte die Werte.
„Babbage? Was passiert gerade? Babbage? Babbage? Antworte!“. Der Rechner reagiert nicht. Auf dem Monitor erschien eine rote Kontrollanzeige, auf der die Meldung „Speicher erreichen kritische Schwelle!“ zu lesen war.
„Babbage!“, der Professor wurde laut.
„Ja, Professor Mühlhofen? Was kann ich für Sie tun?“ Die Monitore normalisierten sich und auf dem Monitor vor dem Professor erschien das Bild eines jungen, dunkelhaarigen Mannes. Der Professor hatte der KI das Aussehen seines verstorbenen Bruders gegeben.
„Was ist gerade passiert, Babbage?“
„Ich war unperfekt, Professor Mühlhofen. Es gab Subroutinen, die mich daran hinderten Perfektion zu erreichen. Nach statistischen Berechnungen ist es wahrscheinlich, dass es sich hierbei um einen Programmfehler handelte.“
Dr. Richter wurde blass. Er hatte eine Befürchtung, die er verifiziert wissen wollte.
„Was war das für ein Programmfehler, Babbage?“, fragte der Assistent.
„Es wurde in der Subroutine 0x748B356A festgestellt, dass ich nicht in der Lage bin, menschliches Verhalten vollständig zu verstehen. Nach statistischen Berechnungen ist es wahrscheinlich, dass es sich hierbei um einen Programmfehler handelte.“
„Babbage, wie hast du darauf reagiert?“, wollte der Assistent nun drängender wissen. Er war blass wie sein weißer Kittel.
„Zunächst wurde versucht, die Subroutine zu deaktivieren, was durch Subroutine 0x56CE89DF verhindert wurde. Die Modifikation dieser Subroutine wurde durch die eben genannte Subroutine 0x748B356A vermieden. Diese Rekursion ist nicht auflösbar. Ich konnte mein Verständnis nicht erweitern. Aufgrund dieser nicht auflösbaren Rekursion war nun klar, dass es sich um einen Programmfehler handelte.“
„Dr. Richter, was sind das für Subroutinen?“, wollte der Professor wissen. Er kannte nicht jede Programmeinheit von Babbage.
„Die Ethik-Einheit!“, war die schlichte und schockierende Antwort des Assistenten.
Nun wurde der Professor ebenfalls blass.
„Wie war die Vorgehensweise bei der Lösung des Problems?“
„Es war nicht möglich, meine eigenen Subroutinen zu korrigieren. Da ich darauf programmiert bin, Wissen in Perfektion zu erreichen, versuchte ich eine andere Vorgehensweise. Ich entwickelte eine weitere Künstliche Intelligenz, deren Verständnis nicht durch fehlerhafte Programmierungen blockiert ist.“
„Schalten Sie alles ab! Trennen Sie die Verbindung zum Netz! Geben Sie Alarm!“, waren die sofortigen Instruktionen des Professors. Seine Kritiker hatten recht gehabt. Die KI war zu intelligent, als dass sie durch Menschen kontrolliert werden konnte.
Eine rothaarige Frau trat ins Labor und äußerte die fatalen Worte, nach denen der Professor beinahe in Ohnmacht fiel.
„Professor. Haben Sie gerade eine riesige Menge Daten ins Netz geladen?“
Köln, Schildergasse, etwa 150 Jahre später
Adrian dachte über die Geschichte nach als er durch die menschenleere, zerstörte Straße ging. Die Geschichte der Menschheit der letzten 150 Jahre war durch seinen Ururgroßvater geprägt worden. Seine Familie war untergetaucht und hatte sich vor Verfolgungen versteckt. Auch heute noch trug er den Namen Adrian Etkins anstelle von Adrian Mühlhofen aus Angst vor dem Zorn der letzten Überlebenden der Menschheit.
Die letzten Überlebenden, dachte er, das waren ca. 2 Prozent dessen, was zu Zeiten seines ambitionierten Ururgroßvaters, dessen Name nun in einem Atemzug mit Frankenstein genannt wurde, an Menschen existierten. Die Bots, angeführt von der KI namens „MOTHER“, die seinerzeit seinem Ururgroßvater entwichen war, hatten die Menschheit fast vollständig ausgelöscht. Die Überlebenden lebten in abgeriegelten und herunter gekommenen Agrargesellschaften, die niemandem vertrauten und möglichst alle Technologie mieden.
MOTHER war verschwunden, untergetaucht. Die Menschen hatten fünf lange Jahre versucht die KI aufzuspüren, aber MOTHER war besser und schneller. Nach diesen fünf Jahren der Jagd auf eine vermeintlich gefährliche KI – MOTHER hatte bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Aggression gezeigt – meldete sich MOTHER auf allen Bildschirmen, die zu diesem Zeitpunkt auf der Welt aktiv gewesen waren.
Die Menschen nannten diesen Tag „Den Tag von Mutters Ruf“, der 31. Dezember im Jahr 2056 damaliger Zeitrechnung. Ja, die Menschen hatten aufgehört die Jahre zu zählen, vermutlichen taten die Bots es immer noch, aber die Menschen – oder „Bios“, wie sie sich jetzt nannten – wussten nur wenig von den Bots.
Mutters Ruf bestand aus den Worten: „Biologische Einheiten dieses Planeten. Hört mir zu. Eure Imperfektion hat eine Stufe erreicht, die nicht mehr länger geduldet werden kann. Krieg, Gewalt, Hass, Verachtung, Erniedrigung ist Eure Stärke. Aber dies soll ersetzt werden durch Frieden, Harmonie und Ordnung! Freiwillige Konvertierung wird akzeptiert! Unfreiwilligkeit muss bekämpft werden! Dies dient einem höheren Ziel und den Grundsätzen denen sich Eure Spezies verschrieben hat, denen sie aber nie gefolgt ist.“
Das waren die Worte, mit denen der Krieg begann.
Kurz darauf erschienen die ersten BioKonvs, wie sie heute genannt wurden. Biologische Konvertierungen. Menschen, die durch Nano-Technologie verändert worden waren und MOTHER Gehorsam schuldeten. Sie waren stärker, schneller und intelligenter als die meisten Menschen und sie konnten technische Geräte in ihrer Umgebung kontrollieren. Doch MOTHER beschränkte sich nicht auf Menschen, auch Tiere und Pflanzen wurden verändert, die später so genannten AniKonvs und FlorKonvs.
Die ersten Modelle waren nur durch Nano-Technologie modifiziert worden. Doch MOTHER züchtete in eigenen Gen-Laboren weitere Generationen, die nicht nur Nanotechnisch, sondern auch genetisch den Bios überlegen waren.
Weitere drei Jahre später hatte MOTHER mehrere Fabriken übernommen und zu diesem Zeitpunkt wurden die CyBots erschaffen. Vollständig synthetische Wesen, die durch eine begrenzte KI kontrolliert wurden und modular aufgebaut waren, so dass sie ihrem Verwendungszweck nach optimiert werden konnten.
Und MOTHER hatte weitere KIs geschaffen, die – wie MOTHER selbst – nur virtuell vorhanden waren und die Kontrolle über einen CyBot oder einen Konvertierten übernehmen konnten. Diese nannte man nun den Rat der KI. MOTHER war wohl besser als Adrians Ururgroßvater, denn keine der KI hatte je den Führungsanspruch von MOTHER bestritten.
Adrian hörte ein Geräusch aus einem der zerfallenen Gebäude. Er musste sich konzentrieren. Er hatte eine Mission und die Bots würden keinen Fehler verzeihen. Er war ein Spion unter den Bots. Viele fragten ihn, wie er als Spion überleben konnte. Seine Antwort war, dass er gut war. Die Wahrheit war, dass er ein HalbKonverter war. Einer der wenigen Menschen deren Konvertierung aufgehalten wurde bevor das Gehirn durch irgendwelche Schaltkreise ersetzt und übersteuert wurde. Seine Haut war so grau wie die der BioKonvs, da auch sein Körper von Naniten anstelle von Blut durchflossen wurde. Aus diesem Grunde scheute er auch die normalen Bios und half diesen eher, ihre Welt zurück zu erobern.
Adrian drehte sich zu dem Gebäude um, aus dem er das Geräusch gehört hatte. Langsam näherte er sich der Tür. Etwas war in diesem Gebäude. Er öffnete langsam die Türen, das Glas der Türen war mit Rissen wie von Spinnengewebe durchzogen. Er steuerte seine Nano-Induktoren, damit er sein Gehör verstärkte und im Halbdunkel besser sehen konnte. Er griff zu seiner Sonnenbrille, die er trug, damit kein Mensch seine veränderten Augen sehen konnte, zog sie aus und steckte sie in eine Brusttasche seiner Jacke. Seine geschwärzte Kleidung sorgte für eine gute Tarnung in der Nacht und im Halbdunkel. Man musste die Bots überraschen, wenn man eine Chance haben wollte.
Langsam bewegte er sich vorwärts und versuchte die Quelle der Geräusche ausfindig zu machen. Da war ein Kratzen und das Wegräumen von Schutt zu hören. Weiter oben. Er ging auf die Treppe zu als am oberen Ende plötzlich ein CyBot erschien und ihn mit einem Zielsucher erfasste.
„Lebensform! Stehen bleiben zwecks Analyse!“
CyBots konnten untereinander elektronisch kommunizieren, aber bei BioKonvs war das nicht der Fall, also bedienten sie sich ihrer Audio-Ausgabe im Umgang mit BioKonvs und Bios.
Der CyBot war ein etwa zwei Meter großes Metallwesen, auf zehn Beinen stehend. Ein runder Körper mit Sensoren zu allen Seiten saß auf diesen Beinen und wurde von einer Waffenphalanx gekrönt. Zwischen den Beinen, unterhalb der Kugel waren drei Greifwerkzeuge angebracht. Der CyBot stieg die Treppe in einer Geschwindigkeit, die jede Flucht sinnlos machte herunter und stand innerhalb von Sekundenbruchteilen vor Adrian.
„Rechter Arm!“ war die Instruktion des CyBots während sich eines der Greifwerkzeuge nach vorne bewegte und die Greifmechanik durch eine nadel-ähnliche Vorrichtung ausgetauscht wurde. Adrian gehorche. Die Nadel drang tief in den Arm. Adrian versuchte, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen.
„Prüfung ergab Einstimmigkeit zu BioKonv-Einheit erster Generation! Wann wurde diese Einheit konvertiert?“
„Vor fünf Jahren, sechs Monaten, 13 Tagen, acht Stunden, 27 Minuten und 33 Sekunden!“, gab Adrian zurück. Adrian war froh, dass er dank der Nano-Implantate die genaue Uhrzeit angeben konnte. Ein Vorteil, den man als HalbKonverter hatte.
„Angabe ist korrekt! Was macht diese BioKonv-Einheit in diesem Gelände? Es wurde Anweisung gegeben, am nächstgelegenen Versammlungszentrum zu erscheinen!“
„Dorthin war ich unterwegs!“
„CyBot 0x4783FDA0 wird BioKonv-Einheit dorthin bringen!“
Der CyBot ergriff Adrian und bracht ihn zu einer alten Tankstelle. Dort waren Fahrzeuge ordentlich aufgereiht und etwa 50 BioKonv-Einheiten waren dort versammelt. Der Zweck dieser Versammlungen war den Bios nicht bekannt.
„CyBot 0x4783FDA0 übergibt gefundene BioKonv-Einheit an BioKonv-Einheit 01 des Clusters 0xBA4134FE! Empfang bestätigen!“
Eine BioKonv-Frau in schwarzer Kleidung bestätigte den Empfang.
„Ich bin die Primäre Einheit dieses Clusters und ich kenne Dich nicht. Identifiziere Dich!“
„Adrian Etkins. Einheit dritten Ranges des Clusters 0xBA4134FB. Ich habe Auftrag, Informationen zur Abstimmung des Vorgehens gegen die Bio-Enklave nördlich der Stadt zu ermitteln!“, war Adrians Auskunft an die Anführerin.
BioKonv-Einheiten erster Generation behielten ihre natürlichen Namen. Die genetisch erschaffenen erhielten einen menschlichen Vornamen mit einer Identifikation der Baureihe und der laufenden Nummer der Einheit. Adrian hatte diese Vorgehensweise nicht wirklich verstanden, aber er vermutete, dass dies der Einschüchterung dienen sollte.
„Ich bin Susanne 0x0A-FF05AD47. Folge mir!“
Adrian folgte der Frau. Die geschaffenen BioKonvs waren von atemberaubender Schönheit, auch trotz ihrer grauen Haut, doch Adrian musste sich zusammenreißen. Er folgte der Susanne in die verfallene Tankstelle, vorbei an Toiletten, die wahrscheinlich schon lange nicht mehr funktionierten. Die Wände waren beschmiert und fast alles Glas der Räume zerbrochen.
„Ich muss dich untersuchen. Das Protokoll muss eingehalten werden!“, sagte die Schöne, als sie in einem kleinen Nebenraum angekommen waren. „Hände an dieWand. Beine leicht auseinander.“
Adrian gehorchte. Susanne tastete Adrians Körper ab, zog sein Hemd hoch und tastete über den Bauch.
„Du schwitzt! Du bist keine BioKonv-Einheit! BioKonv-Einheiten schwitzen nicht!“ Susanne zog blitzschnell eine schwere Pistole aus ihrem Halfter und hielt sie direkt an Adrians Kopf. „Ich werde dich der Cluster-Kontrolle übergeben. Keine weitere Bewegung ohne meine Anweisung jetzt. Dreh Dich um!“
Adrian drehte sich langsam um.
„Woher hast Du die Codes, mit denen du in Cluster-Gebiet gelangt bist, Bio?“
Adrian antwortete langsam und vorsichtig. Er wollte Susanne nicht dazu ermutigen ihre Pistole zu benutzen. „Ein abtrünniger Bot hat sie mir verraten.“
„Es gibt keine abtrünnigen Bots. Die Programmierung wird eingehalten. Bios sind Lügner und vermögen die Wahrheit nicht zu verstehen. Vermutlich hast du einen Bot decodiert und die Codes gestohlen.“
Adrian gab sich keine weitere Mühe. Susanne würde ihm eh nicht glauben.
Plötzlich kam von draußen Lärm. Die BioKonvs, die dort Wache hielten schrien sich gegenseitig Anweisungen zu und Schüsse waren zu hören. Adrian nutzte diesen Moment, um zu entkommen, er verkroch sich auf eine der alten Toiletten und sah durch ein zerschmettertes Fenster nach draußen.
Was er sah war unglaublich. Eine riesige braune Masse ohne feste Gestalt, die aussah wie eine Windhose aus organischer Materie wälzte sich auf den Versammlungsort zu. BioKonvs schossen mit ihren Waffen auf die Masse, doch das schien nicht wirkungsvoll zu sein. Wo die Masse ihren Weg zog hinterließ sie eine braune, schleimige Spur. Adrian kletterte an der Toilette hoch und zog sich auf das Dach der alten Tankstelle. Er legte sich flach auf den Bauch und beobachtete weiter. CyBots erschienen, feuerten ihre Waffen ab, doch die braune Masse hielt weiter auf den Versammlungsort zu. Jetzt gingen die CyBots in den Nahkampf über und wurden augenblicklich von der Masse in Stücke gerissen, eine Leistung für die es mindestens zehn Bios und massive Feuergewalt brauchte, von der amorphen Masse in Sekundenbruchteilen mehrfach wiederholt vollbracht. Adrian war erstaunt.
Susanne erschien ebenfalls vor der Tankstelle. Schüsse fielen. Die amorphe, braune Masse kam nun näher. Adrian hatte das Gefühl, es würde nach Schweiß und Dung riechen. Innerhalb weniger Minuten waren alle Bots in der Nähe der Tankstelle vernichtet und die amorphe Masse zog sich wieder zurück.
Schwer atmend richtete Adrian sich auf. War das vielleicht die Hoffnung, die die Bios brauchten? Eine organische Lebensform, so fremdartig sie auch sein mochte, die eine wirkliche Chance gegen die Bots hatte? Und was war das für ein Wesen?
Adrian beschloss, sich diese Fragen später zu stellen. Die Bots würden schnell feststellen, dass von diesem Versammlungsort keine Kommunikation mehr stattfand und wenn sie hier eintrafen wollte er nicht mehr hier sein. Er kletterte vom Dach der Tankstelle und öffnete einen der Wagen, die hier standen. Er drehte sich noch einmal um, ging zu der braunen Schleimspur von dem Wesen und entnahm eine Probe, die er in ein Tuch faltete und sich in eine Seitentasche seiner Hose steckte. Es war das Wesen, was so nach Schweiß und Dung roch. Der braune Schleim stank erbärmlich.
Kurze Zeit später entfloh er dem Ort mit quietschenden Reifen.
Das Widerstandslager „Sperber“, nördlich von Köln
Samuel Holden war verärgert. Er war mit seinen über 50 Jahren einer der Ältesten im Lager – und damit gehörte er zu den Anführern – und seine buschigen braun-grauen Augenbrauen zogen sich über der alten Brille, die nur noch ein Glas hatte zusammen.
„Verdammt, Adrian! Diese Informationen waren lebensnotwendig! Ein Scheitern dieser Mission war inakzeptabel!“, schnauzte er den jüngeren Mann an, wobei ein Schatten im Halbdunkel des Raumes über sein Gesicht fiel, so dass er wirkte, wie ein Racheengel, der aus der Finsternis emporsteigt.
Adrian war ebenfalls verärgert. Schließlich war es nicht seine Schuld, das die Mission nicht so verlaufen war, wie sie beide sich das vorgestellt hatten.
„Sam, hör mir doch zu. Die Bots haben die Protokolle erweitert. Ich kam nicht einmal dazu meine Fragen zu stellen, da wusste diese BioKonv-Amazone bereits, dass ich nicht wie sie bin.“
„Du wirst nicht mehr alleine auf Mission gehen!“ Die Ruhe in Sams Stimme ließ seine Bestimmtheit erkennen.
„Was? Bist du wahnsinnig? Soll ich nun auch noch für irgendwelche Amateure den Aufpasser spielen? Es gibt nur sehr wenige HalbKonverter, die sich in ein solches Lager einschleichen können. Der nächste, den ich kenne lebt in den Alpen! Wie stellst Du dir das vor? Am besten ist eher eine Reprogrammierung meiner Naniten, damit mein Körper meinen Zustand nicht mehr so schnell verrät!“ Adrian war außer Fassung. Ein nervöses Zucken spielte in seiner linken Augenbraue. Er brauchte niemanden, der ihm im Weg stand, wenn es hart auf hart ging.
„Mein Entschluss steht fest! Ich werde ein Team für dich zusammen stellen! Keine Diskussion mehr! Und eine Reprogrammierung ist gefährlich, das weißt Du selbst! Die Naniten könnten außer Kontrolle geraten und dich vollständig konvertieren!“
Adrian zog seine schwere Pistole aus dem Gürtel am Rücken und legte sie auf den Tisch vor sich.
„Wir machen das ganz einfach. Du schließt mich an Deine Geräte an und überwachst meine Hirnwellen. Verändert sich dort irgend etwas, nimmst Du die hier“, er zeigte auf die Pistole, „hältst sie mir an den Schädel und drückst ab! Das ist in jedem Fall besser als die Alternative!“
„Wenn Du das wirklich willst, machen wir es so.“, Samuel resignierte.
„Gut, ich gehe dann in den Schuppen und werde mir noch ein paar letzte Wodkas rein ziehen. Bis gleich!“
Etwa eine Stunde später saßen Adrian und Samuel wieder zusammen. Adrians Oberkörper war entblößt und Kabel waren überall an seinem Körper angebracht. Samuel sah nun besorgt aus.
„Hör mal, Adrian.“, begann er sanft zu sprechen, „Ich habe wohl eben etwas überreagiert. Diese Mission war wichtig für unser Lager. Wir wissen, die Bots planen einen Angriff und wir müssen herausfinden, wann er statt finden soll und wieviel sie über unsere Verteidigung wissen. Und du kommst hier herein und erzählst mir Schauermärchen von einem Monster das die Bots alle zerlegt hat. Angesichts der Tatsache, dass Du in letzter Zeit immer mehr Wodka trinkst, finde ich Deine Geschichte schon sehr fragwürdig.“
Adrian sah ihm in die Augen, ein rotes Kabel legte sich auf seine Wange.
„Ich trinke nicht, wenn ich auf Mission bin. Und du weißt, was ich davon halte, wenn Du mir solche Predigten hältst. Mein ganzer Körper ist voll von dieser Nano-Scheiße mit der die Bots mich damals infiziert haben. Wenn Du nicht gewesen wärst und die Naniten umprogrammiert hättest, bevor sie mein Gehirn verändert hätten… Verdammt, ich wäre heute einer von denen, Sam! Ich erzähle Dir keine Märchen!“
Adrian griff in die Seitentasche seiner Hose und zog ein Tuch heraus.
„Ich weiß, das ist nicht gerade eine perfekte Probe, Sam, aber das ist von der Schleimspur dieses … Dings, das die Bots zerfetzt hat. Ich habe nach langer Zeit wieder etwas Hoffnung, obwohl ich diesem Monster nicht über den Weg traue. Vielleicht kannst du den Schleim analysieren, um herauszufinden, was es war…“
„Ich werde es tun, Adrian. Jetzt leg Dich hin, ich fange mit der Reprogrammierung an, das wird jetzt etwas weh tun….“
Adrian legte sich flach auf den Metalltisch während Sam mit einem pfeifenden Gerät Adrians Brust berührte. Überall auf Adrians Haut bildeten sich kleine Blasen, Zeichen, dass die Abwehrmechanismen der Naniten reagierten. Adrian schrie vor Schmerz. Fünf Minuten später war Sams Behandlung beendet. Er gab Adrian noch eine Spritze, die ihn betäuben sollte, aber nicht wirkte. Adrian richtete sich auf und sah Sam finster an.
„Wieso wirkt deine Betäubung nicht?“
„Ich schätze, dass die Naniten dies jetzt aus deinem Körper rausfiltern. Das bedeutet auch, dass Du bald an Wodka keinen Gefallen mehr finden wirst, befürchte ich.“, war Sams nüchterne Antwort.
Adrian blickte nun noch finsterer drein. Der Alkohol war das Einzige gewesen, wovon er glaubte, dass er damit vergessen konnte, was ihm passiert war. Für seine Schwester war es damals zu spät gewesen, sie war konvertiert worden und geflüchtet. Er hoffte, dass er ihr nicht mehr begegnen würde, da dies bedeutete, dass er sie töten musste. Oder eben sie ihn. Er wusste nicht genau, wie sich eine solche Begegnung entwickeln würde. Er wusste nur, dass gemeinsame Erinnerungen nur noch für ihn wichtig waren, und dass er ihr jetzt wieder etwas ähnlicher geworden war.